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Bestandserhaltung und Sanierung
Dorfstrukturen stärken – "Aufwertung der Bausubstanz mit Methoden der seriellen Sanierung“
Weltweit ist das Bauwesen für ca. 38% der CO2 Emissionen verantwortlich, was insbesondere auf die Erstellung neuer Gebäude und Infrastruktur zurückgeht. In Deutschland entfallen auf den Bausektor immerhin noch 30% der Emissionen. Auf der anderen Seite stehen trotz Wohnungsnot über 900.000 Wohnungen mehr als 12 Monate leer (Zensus 2022). Darüber hinaus gibt es viele gewerbliche Immobilien, die aufgrund geänderter Bedarfe nicht mehr genutzt werden. Ein Ansatz, der in der Architektur seit geraumer Zeit verfolgt wird, ist bewusster mit dem Thema Weiter- und Wiedernutzung bestehender Gebäude umzugehen. Manche Initiativen fordern gar ein Abrissmoratorium, um die Ressourcen, die in Bestandsimmobilien stecken, zu erhalten. Wie können die Wünsche nach Bestandserhalt, Identitätswahrung der historischen Ortskerne, Komfort und energetische Belange kombiniert werden?
Das Forschungsteam der RPTU Kaiserslautern-Landau (Lehrstuhl Prof. Dirk Bayer) zusammen mit dem „t-lab -Holzarchitektur und Holzwerkstoffe“ sowie der Hochschule Koblenz (Lehrstuhl Prof. Andrea Uhrig) hat das Ziel eine umweltverträgliche Vorgehensweise zur Reaktivierung und Aufwertung des Gebäudealtbestands in Rheinland-Pfalz zu erarbeiten. Damit soll der fortschreitenden räumlichen und baulichen Ausbreitung und Versiegelung von wertvollen Naturräumen im ländlichen Raum entgegengewirkt werden.
Der grundlegende Unterschied zu herkömmlichen Sanierungsmaßnahmen, bei denen bspw. die Dämmung außen vor eine Gebäudehülle angebracht wird, liegt bei diesem Projekt darin, dass die die bestehende Optik eines Objekts gewahrt wird, und die Erneuerung der Substanz sich im Innenraum abspielt. Das Sanierungskonzept sieht den Einsatz konfigurierbarer Holzmodule in bestehenden, in ungenutzten und leerstehenden Nichtwohngebäuden vor. Mittels passgenau vorproduzierter Holzbauelemente aus regionalen Hölzern kann die bestehende Gebäudehülle als wertvolle Ressource erhalten und weitergenutzt werden.
Die Entwicklung eines digital gestützten Planungs- und Fertigungsprozesses für diese Art der seriellen Sanierung steht bei diesem Projekt im Fokus. Damit wird attraktiver Raum zum Wohnen und Arbeiten geschaffen, und historische Ortskerne idealerweise wiederbelebt. Das „Klimabündnis Bauen in Rheinland-Pfalz“ stellt hierfür Landesmittel in Höhe von 445.000 EUR über den Zeitraum von drei Jahren zur Verfügung. Durch das Bauforum Rheinland-Pfalz wurden weitere 38.500 EUR zur Verfügung gestellt.
Interview mit Prof. Dirk Bayer und Anna Baber zum Forschungsprojekt
© RPTU

Herr Prof. Bayer, Frau Baber, warum ist die Sanierung von Gebäudebestand ein Thema, und wie unterscheidet sich Rheinland-Pfalz in seiner Struktur von anderen Bundesländern?
Die Sanierung des Gebäudebestands ist aus mehreren Gründen ein wichtiges Thema, besonders in Rheinland-Pfalz – das sich durch seine geografische und demografische Struktur von anderen Bundesländern unterscheidet. Das Bundesland ist traditionell stark von Weinbau und landwirtschaftlich genutzten Flächen bestimmt, die mit etwa 35 % im bundesweiten Vergleich bemerkenswert hoch ist. Doch die landwirtschaftliche Nutzung hat sich aufgrund des Strukturwandels und der Globalisierung der Nahrungsmittelindustrie erheblich verändert. In vielen ländlichen Regionen stehen zahlreiche Gebäude oder Gebäudeteile leer und drohen zu verfallen oder abgerissen zu werden. Nach einer Betriebsaufgabe stehen viele nicht mehr benötigte Zweckbauten wie Tierställe oder Produktionsgebäude leer. Dies betrifft Gebäude unterschiedlichster Altersklassen und Bauweisen.
Die Leerstandsquote in Rheinland-Pfalz liegt bei ca. 2,7 % (Stand 2022), was etwa 60.000 leerstehenden Wohnungen entspricht, während gleichzeitig viele Menschen auf der Suche nach geeignetem bezahlbarem Wohnraum sind. Die Leerstandsquote variiert erheblich zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, wobei die Quote in den ländlichen Regionen deutlich höher ist.
Wir untersuchen das Potenzial und entwickeln Möglichkeiten, leerstehende, ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude zu reaktivieren. Viele dieser Gebäude bieten aufgrund ihrer robusten und großmaßstäblichen Grundstruktur vielfältige Möglichkeiten für eine nachhaltige und sinnvolle Umnutzung.
Wie sieht die Analyse aus, die Sie gemeinsam mit der HS Koblenz durchführen?
Das übergeordnete Ziel ist die Stärkung nachhaltiger Bauweisen und Sanierung und damit der fortschreitenden Flächenversiegelung und dem Ausstoß von CO₂-Emissionen sowie dem Abriss historischer Bausubstanz entgegenzuwirken. Zudem soll die Revitalisierung der Dorfstrukturen (Innenentwicklung vor Außenentwicklung der ländlichen Räume) durch die Kombination aus digitaler Bestandserfassung, innovativer Bauplanung und kommunaler Vernetzung unterstützt werden.
In den ersten Schritten des Projektes haben wir uns zusammen mit der Hochschule Koblenz auf die Erfassung und Bewertung von Leerständen, insbesondere Nichtwohngebäuden in ausgewählten Regionen von Rheinland-Pfalz konzentriert. Ziel war es, einen Überblick über Bestandstypen, verwendete Baumaterialien und den Leerstandanteil sowie den baulichen Zustand der Bestandsgebäude in Dörfern zu gewinnen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse entwickeln wir Strategien für eine nachhaltige Weiternutzung und Sanierung.
Die Methodik und das Vorgehen des Projekts gliedern sich in mehrere wesentlichen Schritte: Zunächst wird eine präzise digitale Erfassung der leerstehenden Gebäudestruktur durchgeführt. Hierzu kommt das 3D-Laserscanning zum Einsatz, welches eine hohe Präzision des Aufmaßes ermöglicht. Die gesammelten Daten werden in 3D-Punktwolken für CAD umgewandelt. Dies ist sehr detailliert und kann die Struktur millimetergenau abbilden. Diese Punktwolken werden durch Projektsteckbriefe ergänzt, die wichtige Informationen wie das Erbauungsjahr, die verwendeten Materialien und den Denkmalschutz der jeweiligen Gebäude dokumentieren.
Die Vernetzung mit kommunalen Akteuren war ein wichtiger Bestandteil der Analysephase. Das Projektteam steht im Austausch mit den Dorferneuerungsbeauftragten der 24 Landkreise in Rheinland-Pfalz. Außerdem führen wir Gespräche mit den Verbandsgemeinden, Ortsgemeinden und Denkmalschutzbehörden, um Leerstandspotenziale zu identifizieren. Darüber hinaus betrachten wir bestehende Instrumente, wie den „Zukunfts-Check Dorf“, das Tool „Raum + Monitor“ und Konzepte wie die des „Leerstandslotsen“.
Auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Leerstandanalyse entwickeln wir ein modulares Holzelementbausystem, was sich den Gegebenheiten anpasst. Die Methodik wird an realen Fallbeispielen erprobt, um skalierbare Sanierungslösungen zu schaffen, die landesweit anwendbar sind. Dabei verfolgen wir zukunftsorientierte Strategien, die einen Anspruch an hohe architektonische Qualität stellen. Bei der Entwicklung des Holzelementbausystems spielen räumliche, bauphysikalische, gestalterische sowie konstruktive Aspekte eine zentrale Rolle.
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Welche Potenziale sehen Sie in der Nutzung des Gebäudebestands in RLP, und was müsste im Hinblick auf die Regularien und Rahmenbedingungen geändert werden, um die Bestandsaufwertung mit einem Mehrwert gegenüber dem Neubau zu versehen?
Wir sind davon überzeugt, dass die Weiternutzung des Gebäudebestands in Rheinland-Pfalz zahlreiche, sowohl ökologische als auch ökonomische Potenziale, bietet. Angesichts des demografischen Wandels, der wachsenden Notwendigkeit nachhaltigen Bauens und der erheblichen Probleme, die durch Neubaugebiete entstehen, stellt das Bauen im Bestand eine entscheidende Alternative dar, die wir gezielt stärken möchten.
In Rheinland-Pfalz gibt es viele Gebäude, die kulturell und historisch von großem Wert sind. Die Sanierung dieser ortsbildprägenden Gebäude ermöglicht es, die lokale Identität zu bewahren und gleichzeitig zukunftsorientierten Anforderungen gerecht zu werden. Das Bauen im Bestand ist die logische Konsequenz zur Erreichung der Klimaschutzziele, wenn es um Ressourcenschonung und Abfallvermeidung im Bauwesen geht. Ein weiterer Vorteil der Weiternutzung bestehender Gebäude liegt in der Verwendung bereits versiegelter Flächen und bestehender Infrastruktur wie Verkehrsanbindungen, Strom- und Abwassernetze.
Um die Sanierung von Bestandsgebäuden zu fördern, sollten bestehende Förderprogramme für den Bestandserhalt ausgeweitet und vereinfacht werden. Gleichzeitig müssen bürokratische Hürden, insbesondere bei der Sanierung von historischen Gebäuden, abgebaut werden. Hier könnte eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren, speziell für energetische und barrierefreie Umbauten, helfen. Ebenso wäre eine Anpassung der Bebauungspläne wünschenswert, um eine Umnutzung von zum Beispiel Nichtwohngebäuden hin zu Wohngebäuden, zu erleichtern.
Die Bundesarchitektenkammer hat mit der Initiative „Gebäudetyp E“ (E wie „einfach“ oder „experimentell“) den Weg für innovatives, nachhaltiges Bauen und vereinfachte Bauverfahren bereits geebnet. Dennoch sind sich viele private Eigentümer der Potenziale einer Bestandsaufwertung oft nicht bewusst oder haben Bedenken hinsichtlich der hohen, schwer kalkulierbaren Baukosten. Unser Ansatz mit der Nutzung der vorhandenen Bausubstanz als „schützende Hülle“ für das Neue im Innenraum spart nicht nur erhebliche mineralische, energieaufwendige Baustoffressourcen (CO2-Emissionen) ein, sondern kann auch die Gesamtbaukosten reduzieren.
Durch die Konsequenz digitaler Prozessketten im Bauablauf können kosten- und zeitoptimierte Sanierungen realisiert werden. Unser Ziel ist es, Ressourcenschonung durch Standardisierung zu erreichen. Die Entwicklung standardisierter Bauelemente ermöglicht eine einfachere Anpassung an individuelle Bestandssituationen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Anpassung der energetischen Standards in Deutschland. Die Anforderungen an die Energieeffizienz von Bestandsgebäuden sollten realistisch und umsetzbar sein. Eine differenzierte Betrachtung von Bestands- und Neubausanierungen ist für effizientes und sinnvolles Bauen im Bestand essenziell.
Low-Tech-Bauweisen, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, rücken wieder ins Bewusstsein und schärfen den Blick für materialgerechte und natürliche Konstruktionen. Allzu oft stehen sie jedoch häufig im Widerspruch mit den bestehenden und stetig wachsenden Normen und Richtlinien, die primär auf Neubauten ausgerichtet sind.
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Welche konkrete CO2 Einsparung sehen Sie für die Umnutzung von Nichtwohngebäuden?
Neubauten verursachen in der Regel deutlich höhere CO₂-Emissionen in der Bauphase als die Sanierung bestehender Gebäude.
Eine bestehende Scheune bietet als „schützende Hülle“ weiter zu nutzen und durch einen sinnvollen Holzeinbau zu ergänzen, bietet erhebliches Einsparpotenzial an Treibhausgasen. Gegenüber herkömmlichen Fassadenkonstruktionen ermöglicht uns diese Bauweise, den Verzicht auf eine separate wind- und schlagregendichte Fassade, eine Reduzierung der angenommenen Windlasten in der statischen Berechnung sowie eine vereinfachte Fügung der Bauelemente.
Ein konkretes vereinfachtes Rechenbeispiel verdeutlicht die Einsparpotenziale. Für eine Wohneinheit mit 100 m2 Wohnfläche vergleichen wir zwei Fassadenaufbauten:
Konventioneller Wandaufbau: Porenbetonsteine mit Wärmedämmverbundsystem → Ausstoß von 74 kg CO₂ pro Quadratmeter Fassadenfläche
DAsS // Nachhaltiger Wandaufbau: Holzständerkonstruktion mit natürlichen Dämmstoffen → Speicherung von 36 kg CO₂ pro Quadratmeter Fassadenfläche
Daraus ergibt sich eine Ersparnis von 110 kg CO₂ pro Quadratmeter Fassadenfläche. Hochgerechnet auf eine rund 200 m² Gesamtfassadenfläche summiert sich die Ersparnis auf ca. 22 Tonnen CO₂-Emissionen – allein durch die Wahl eines nachhaltigen Wandaufbaus und die Weiternutzung der Bestandsstruktur. Dies entspricht ca. dem Material- und Produktionsaufwand von 4 Kleinwagen.
Bestandsgebäude sind in der Regel bereits an das öffentliche Versorgungsnetz für Strom, Wasser und Abwasser sowie an die Verkehrsinfrastruktur angeschlossen. Dadurch entfallen aufwendige Maßnahmen wie der Bau neuer Straßen oder der Anschluss an neue Netzwerke. Ein Neubau erfordert häufig die Versiegelung neuer Flächen oder, im Falle eines Ersatzneubaus, den Abriss eines bestehenden Gebäudes. Insbesondere durch den Einsatz schwerer Baumaschinen sowie den Transport und die Entsorgung von Baumaterialien wird die Umwelt belastet, was bei einer Sanierung vermieden werden kann.
Die genaue Höhe der CO₂-Einsparungen durch eine Bestandsnutzung hängt von Faktoren wie Gebäudeart, Sanierungsmaßnahmen und Standort ab. Berechnungen basierend auf dem schweizerischen SIA-Lebenswegansatz des „Circular Hub“ zeigen jedoch, dass die Sanierung eines Gebäudes bis zu 40 % weniger CO₂-Emissionen verursacht als ein Neubau oder Ersatzneubau – insbesondere durch die Reduzierung der grauen Energie und die Optimierung der Energieeffizienz.
Durch nachhaltige Baumaterialien, eine ressourcenschonende Planung und die Nutzung bestehender Bausubstanz kann der Bausektor einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von CO₂-Emissionen leisten.
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Worin liegt der Vorteil einen Holz-Einbau in einen Bestandsbau zu integrieren? Worauf muss bei der Planung und Ausführung geachtet werden?
„Ein zentraler Aspekt ist, die bestehende Substanz so weit wie möglich zu erhalten, um die Einsparungen zu maximieren. Falls das Gebäude unter Denkmalschutz steht, müssen zudem besondere Anforderungen der Denkmalpflege berücksichtigt werden.
Die Nutzung von Holz als Baumaterial bietet zahlreiche ökologische, ästhetische und funktionale Vorteile. Als nachwachsender Rohstoff zählt Holz als CO2 Speicher. Weitere Vorteile sind die trockene Bauweise und der hohe Vorfertigungsgrad von Holzbauelementen. Die Bauteile können so unter optimalen Bedingungen im Werk vorproduziert und innerhalb kürzester Zeit auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Das reduziert den Bauaufwand, verkürzt die Bauzeit, trägt zur Kostenoptimierung bei und ermöglicht ein reibungsloseres Bauen. Unser Ziel ist es, mit möglichst wenigen unterschiedlichen Elementgrößen eine hohe Flexibilität bei der Gestaltung von Wohnungsgrößen und -typen zu ermöglichen. Standardisierte Bauelemente erlauben eine einfache digitale Konfiguration, wodurch das Bausystem effizient geplant und an individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann.
Wichtige Aspekte bei der Planung und Ausführung sind die Beachtung limitierter Einbringöffnungen und die daraus folgenden Konsequenzen. Je nach Größe dieser „Nadelöhre“ müssen gegebenenfalls alternative Möglichkeiten z.B. über das Dach geschaffen werden.
Der Holzeinbau darf die Standsicherheit und den Brandschutz des bestehenden Gebäudes nicht beeinträchtigen. Zum jetzigen Planungsstand hat der Einbau jedoch keine Berührungspunkte zum bestehenden Gebäude. Lediglich die Konstruktion des Dachtragwerks sowie die Ausbildung der neuen Gründung müssen beim Einbau sorgfältig betrachtet und berücksichtigt werden.“


Weiterführende Infos
Forschungsteam:
RPTU Kaiserslautern-Landau
Prof. Dipl.-Ing. Dirk Bayer Dekan, Architekt BDA Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf, Prof. Dr.-Ing. Jan C. Aurich
Beteiligte Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen:
Dipl.-Ing. Anna Baber
Dipl.-Ing. Reiner Klopfer
Dipl.-Ing. Pascal Richter
Dipl.-Ing. Claudia Ünal-Rothe
Wissenschaftlicher Hilfsmitarbeiter:
Aaron Welzbacher
Hochschule Koblenz
Prof. Dipl.-Ing. Andrea Uhrig, Architektin BDA
Beteiligter Wissenschaftlicher Mitarbeiter:
B.A. Johannes Büker
Weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt finden Sie auch im Projektsteckbrief.