Dr.-Ing. Jochen Stahl: „Große, öffentliche Bauprojekte in Holz sind einfach, kostengünstig und schnell umsetzbar“
Dr.- Ing. Jochen Stahl vom bekannten Tragwerksplanungsbüro „FAST+EPP“ über das Projekt des Neubaus der Kreisverwaltung Mainz-Bingen am Standort Ingelheim. Das Projekt wurde mit einer einmaligen Birkenbrettsperrholz Tragkonstruktion gebaut. Der Kostenrahmen von rund 43,6 Millionen Euro konnte dank der guten Planung gehalten werden. Im Holzbau ist eine frühzeitige detaillierte Planung am Anfang des Prozesses notwendig, was im späteren Bauprozess jedoch Zeit und Geld sparen kann. Das „Klimabündnis Bauen“ hat dieses Projekt mit 200.000 EUR gefördert. Es wurde ab dem 14.08.2023 bezogen.
Ursprünglich sollte der Neubau der Kreisverwaltung als Stahlbetonskelettbau erstellt werden, nun bestehen die vier oberirdischen Geschosse aus einer gesteckten Holz-Skelett-Konstruktion mit einer elementierten Holzfassade. Wie kam es zu der Entscheidung, den Neubau nicht ausschließlich in Massivbauweise umzusetzen? Welche Vorteile ergeben sich aus der Holz-Hybridbauweise (im Vergleich zu einer ausschließlichen Massivbauweise)?
Die Vertreter des Landkreises Mainz-Bingen sind mit der Idee, einen Holzbau zu realisieren, auf uns zugekommen. Die Umsetzung war an die Voraussetzung geknüpft, dass keine Mehrkosten entstehen, was in einer aufwendigen Berechnung mit unserer Unterstützung durch die Verwaltung nachgewiesen wurde und zu den entsprechenden Beschlüssen in den Kreisgremien geführt hat. Auf dieser Grundlage haben wir diese Chance genutzt.
Die Büros in Holzbauweise zu überspannen ging relativ einfach. Die Decken der Kreisverwaltung sind eine reine Holzkonstruktion. Diese sind anders als Holz-Beton-Verbunddecken leichter zurückzubauen und wiederzuverwenden. Für die Treppenhäuser, die als Aussteifungskerne und Zugangs- und Rettungswege des Gebäudes dienen, haben wir Stahlbeton verwendet. Auch die sehr große Tiefgarage im Erdreich wurde aufgrund der höheren Traglast in Beton erstellt. So konnten wir die Aussteifungskerne direkt aus der Tiefgarage nach oben durchlaufen lassen. Für die Zukunft sollten wir den Bau großer Tiefgaragen vermeiden, denn die sind natürlich, gemessen an dem schönen Holzbau darüber, nicht besonders günstig fürs Klima.
Die Vorteile einer Holz-Hybridbauweise liegen auf der Hand. Holz ist ein ökologischer, nachwachsender Baustoff und ist natürlich im Vergleich zur Beton-Massivbauweise die deutlich ökologischere Lösung. Das gilt insbesondere dann, wenn mindestens zwei Bedingungen erfüllt sind: Zum einen die Dauerhaftigkeit, und zum anderen die Kreislauffähigkeit, also eine Rückbaubarkeit der Konstruktion. Der Baustoff Holz punktet zudem mit kürzeren Bauzeiten und weniger Dreck und Lärm auf der Baustelle. Ich bin davon überzeugt: Holz bringt einfach eine ganz eigene Qualität in die Gebäude und hat einen großen Benefit für die Architektur und das Wohlbefinden der Menschen. Insofern freue ich mich, dass der Baustoff großen Zuspruch erfährt, weil es natürlich ein ganz wichtiger Hebel ist im Kampf gegen den Klimawandel. Aber ich möchte Holz nicht alleine darauf reduzieren. Holz kann viel mehr, Holz ist viel mehr.
Für den Bau des Gebäudes wurde Laubholz, genauer Birken-Brettschichtholz, als Alternative zu Nadelholz verwendet. Wie kam es dazu? Und welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?
Die Nadelholzpreise sind zu dieser Zeit stark gestiegen. Das heißt, wir hatten das Projekt als Holzkonstruktion geplant und dann gingen die Preise nach oben. Sehr schnell kam dann natürlich die Frage: „Ist der Holzbau unter diesen Voraussetzungen immer noch die bessere Lösung?“ Als Reaktion darauf haben wir darüber nachgedacht, die Holz-Skelett-Konstruktion mit einem Laubholz zu bauen, bei dem die Nachfrage noch nicht so groß ist, um damit eine gewisse Preisstabilität zu erreichen. Wir sind dann auf das, zu diesem Zeitpunkt noch völlig neue Produkt, dem Brettschichtholz aus Birke gestoßen. Wir sind das Risiko eingegangen, mit einem Produkt an den Start zu gehen, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Zulassung in Deutschland hatte und noch in der Entwicklung war. Wir haben uns auch für Birke entschieden, weil das Brandverhalten der Birke besser ist als bei Buche und den üblichen Nadelhölzern.
Jetzt muss man wissen, dass Birkenholz vom Rohstoff her teurer ist als zum Beispiel die Fichte. Insofern hatten wir gewisse Mehrkosten beim Rohstoff, diese wurden aber durch den etwa im gleichen Maße geringeren Querschnitt kompensiert. Es wurde also weniger Holz zu einem teureren Preis eingekauft, was aber dann am Ende in etwa zu vergleichbaren Kosten und einer Preisstabilität geführt hat.
Mit dem gewählten Birkenholz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Für uns ist es auch immer wichtig, im Nachgang mit den ausführenden Holzbaubetrieben zu sprechen und die haben uns wirklich ein sehr positives Feedback gegeben. Auch zu dem von uns entwickelten Baukastensystem, das auf der Baustelle sehr gut funktioniert hat und sehr effizient war. Dadurch, dass wir eine hohe Anzahl gleicher Bauteile hatten, konnte es natürlich auch sehr gut vorgefertigt werden. Alles kam vorgebohrt auf die Baustelle, sodass das Handling vor Ort sehr gut funktioniert hat.
Die Kreislauffähigkeit des Neubaus und ein flexibler Grundriss waren dem Bauherren ein besonderes Anliegen. Wie wurde eine mögliche Umnutzung des Gebäudes und die potentielle Wiederverwendbarkeit der Baumaterialien in der Planung berücksichtigt und gewährleistet?
Skelettkonstruktionen sind grundsätzlich sehr flexibel, denn es gibt nur wenige tragende Bauteile und nicht tragende Wände können leicht verschoben werden. Im Extremfall kann alles, also die Fassade und alle Innenwände, bis auf die Aussteifungskerne, zurückgebaut werden und so bliebe nur noch die Skelettkonstruktion stehen. Dieser Grundgedanke war schon im Entwurf der Verwaltung so vorgesehen. In unserer Holz-Hybrid-Konstruktion haben wir im nächsten Schritt ein Stecksystem als Baukasten entwickelt, welches im Grunde ganz einfach wie LEGO zusammengefügt wird. Die Verbindungen bestehen aus wenigen Schrauben, die man auch leicht wieder lösen kann. Wir haben darauf geachtet, dass alles aus Standard-Abmessungen besteht, die man jederzeit wiederverwenden könnte. Das ist natürlich entscheidend, denn da wollen wir hin. Ich hoffe, das Gebäude steht mindestens 50 Jahre und danach sollen und können die Bauteile für ein neues Gebäude wiederverwendet werden. Wir reden da über eine Zukunft von mehreren 100 Jahren. Wir kennen Häuser aus dem Mittelalter, aus Holz, die so alt sind. Das muss das Ziel sein und dann ist Holz unschlagbar was die Ökobilanz angeht.
Welche Key-Learnings werden Sie aus diesem Projekt für zukünftige Projekte mitnehmen?
Neugierde lohnt sich. Ich werde auch in Zukunft immer neue Produkte erforschen, immer neue Materialkombination wählen. Auch der Leitgedanke, das Ganze von Anfang an rückbaubar zu machen, hat sich ausgezahlt. Es hat nicht nur dazu geführt, dass man das Gebäude wirklich leicht wieder auseinandernehmen kann, sondern natürlich auch bereits sehr leicht montieren konnte. Das war sicherlich auch nicht das letzte Projekt, was wir mit Birken-Brettschichtholz gemacht haben. Wir sind von diesem Werkstoff überzeugt. Ich würde in Zukunft wahrscheinlich versuchen, noch mehr aus Holz zu bauen. In Hinsicht auf die Aussteifungstürme und die Betonwände, die aus der Tiefgarage hochgezogen wurden, würde ich beim nächsten Projekt noch mehr Beharrlichkeit zeigen und diese ebenfalls in Holz umsetzen. Aber das Konzept ist, nach wie vor, sehr überzeugend. Das Ergebnis ist ein sehr gelungenes Pionier-Projekt, auf das man gerne wieder zurückschaut.
Welche Botschaft haben Sie an öffentliche Bauherren, die aktuell noch daran zweifeln, ob sich größere Bauprojekte kostengünstig in Holzbauweise realisieren lassen?
Bauen mit Holz besitzt viele Vorteile und ist ökologisch sinnvoll und notwendig. Auch große Bauprojekte lassen sich technisch und planerisch ohne Probleme in Holzbauweise realisieren. Noch steckt das Bauen mit Holz in den Kinderschuhen. Daher bedarf es Mut und Offenheit für neue Ansätze. Wer diesen Schritt wagt, wird mit einem nachhaltigen, flexiblen und zukunftsfähigen Gebäude belohnt, in dem die Lebenszyklus- und Klimakosten mitberücksichtigt sind, welches einen niedrigen CO2-Fußabdruck und Energieverbrauch besitzt und welches einfacher zurückgebaut und recycelt werden kann. Außerdem bietet der Baustoff Holz herausragende Qualitäten für die Gestaltung toller öffentlicher Gebäude.
Welche Förderprogramme konnten Sie für den Bau bzw. die Tragwerkskonstruktion in Anspruch nehmen?
Es ist sehr schön, dass der Holzbau diese Wertschätzung erfährt und es mehr Förderprogramme gibt. Wir haben für die Kreisverwaltung Ingelheim durch das "Klimabündnis Bauen" eine Förderung erhalten. Unser Förderschwerpunkt war dabei speziell die Holzkonstruktion.
Wie wurde bei diesem großen Gebäude (16500m² BGF, Gebäudeklasse 4) der Brandschutz gelöst? Wie war es möglich, die vielen Holzoberflächen sichtbar zu belassen, ohne etwa eine Sprinkleranlage einzubauen?
Das ist natürlich immer eine Frage des Brandschutzkonzeptes und damit auch des Brandschutzgutachters, der in die Planung involviert ist. Es gibt die Muster-Holzbau-Richtlinie, die jetzt seit einigen Jahren eingeführt ist und die dabei eine wichtige Grundlage ist. Dort geht man davon aus, und das hat etwas mit den Brandlasten im Gebäude zu tun, dass entweder die Decken sichtbar aus Holz sein können oder 25 Prozent der Wände. In unserem Fall haben wir eigentlich nur Gipskartonwände. Das heißt, die Decke konnte sichtbar bleiben. Die Stützen wurden entsprechend überdimensioniert, sodass diese auch im Brandfall die Stabilität des Gebäudes gewährleisten. So war auch dies machbar.
Bei diesem doch recht großen Verwaltungsgebäude hat sich die serielle Vorgehensweise sicher gelohnt. Ist das auch etwas für kleinere Verwaltungsbauten?
Gerade bei städtischen, zentrumsnahen Bauprojekten ist es essenziell, möglichst wenig Platz auf der Baustelle einzunehmen, möglichst wenig Lärm und Dreck zu verursachen und eine kurze Bauzeit zu gewährleisten. Da kann der Holzbau natürlich, vor allen Dingen durch die Vorfertigung, eine ganz große Rolle spielen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Neubauten, sondern auch für Sanierungen und Aufstockungen, gerade wenn dies im laufenden Betrieb passieren soll. Wenn wir jetzt wirklich etwas für das Klima tun wollen, dann müssen wir auch möglichst viel Bestand erhalten und ertüchtigen, müssen aufstocken und nachverdichten, und da kann der Holzbau, auch aufgrund seiner großen Leistungsfähigkeit bei geringem Eigengewicht, einen wichtigen Beitrag leisten. In jeder Größenordnung, auch bei kleinen Bauvorhaben und auch nicht nur bei Verwaltungsgebäuden.