Prof. Dr. Antje Boldt: „Vergaberecht in der Holzbaupraxis zielführend anwenden- ein entscheidender Beitrag zur erfolgreichen Baumaßnahme“

Der Baustoff Holz speichert langfristig schädliches Kohlendioxid, und leistet damit einen Beitrag zum Klimaschutz. Angesichts der Tatsache, dass die Baubranche weltweit für 40% des CO2 Ausstoßes verantwortlich ist, werden nachhaltige Bauweisen mit nachwachsenden Rohstoffen (Holzmodulbauweise, Holzhybridbauweisen, Aufstockungen, serielle Sanierungen mit nachwachsenden Rohstoffen) verstärkt angewendet.

Damit hat die öffentliche Hand die Chance, durch den Einsatz von Holzbau einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Qualitätssteigerung der Räumlichkeiten beispielsweise von Schulen, Kitas und Verwaltungsgebäuden zu leisten. Die Holzbauweise eignet sich besonders gut für die Vorfertigung, und spart dadurch Kosten und Zeit. Denn Bauen mit Holz findet weniger auf der Baustelle, sondern vielmehr in der Produktionshalle statt. Wände, Decken oder sogar ganze Zimmer (inkl. technischer Installationen und Leitungen) werden präzise und witterungsunabhängig im Werk vorgefertigt. Die fertigen Gebäudeteile werden dann zur Baustelle transportiert und zusammengesetzt. Der Bau erfolgt lärm- und störungsarm. Die Gebäude sind in kürzester Zeit errichtet, und sogar teilweise ohne größeren Aufwand wiedereinsetzbar und anpassbar. Trocknungszeiten oder Standzeiten wie beim Stahlbeton entfallen meist vollständig. 

Doch was bedeutet dies für öffentliche Auftraggebende, Kommunen und Träger:innen? Sie müssen ihre Planungsprozesse anpassen und Ausschreibungen anders aufbauen. Lange wurden öffentliche Ausschreibungen in viele einzelne Gewerke und Lose „zerlegt“, um so mehreren Unternehmen eine Chance zur Teilnahme zu ermöglichen und Risiken zu streuen. Ein Zusammenfassen von Gewerken wurde aufgrund des Mittelstandsförderungsgesetzes oft nicht vorgenommen. Dies ist für Gebäude in Holzmodulbauweise jedoch nicht praktikabel, da etliche Gewerke in einem Bauabschnitt ausgeführt werden müssen. Für Auftraggebende lohnt sich daher oft die Vorgehensweise, wenn ein Generalunternehmer die Abstimmung einzelner Gewerke bei einem Bauabschnitt (bsp. „Wände“ inkl. Leitungen und Fenster) übernimmt, und die Vorfertigung koordiniert ausgeführt werden kann. Das spart am Ende oft Zeit und Geld, und hat auch einen Einfluss auf die Vermeidung von Baumängeln.

In diesem Interview klärt Frau Prof. Dr. Antje Boldt, Fachanwältin für Vergaberecht, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht und Professorin für Wirtschaftsrecht, darüber auf, wie das Vergaberecht im Einklang mit den fachlichen Notwendigkeiten der Vorfertigung im Holzbau gebracht werden können.

Frau Prof. Dr. Antje Boldt

Frau Prof. Dr. Boldt, welche Vorurteile existieren bei der öffentlichen Hand bei der Ausschreibung und Vergabe von Holzbauprojekten?
Ich würde die Frage nicht auf Holzbauprojekte generell beziehen, da Holz lediglich ein Werkstoff ist. Entscheidend ist vielmehr das schnelle Bauen mit Holz in Form einer hohen Vorfertigung durch Module. Hier existiert das Vorurteil, dass man die Leistungen, die zur Umsetzung nötig sind nicht an eine einzige Firma vergeben kann, weil das dann einer Ausschreibung an einen Generalunternehmer gleichkäme. Das ist so aber nicht richtig: Ein Modul wird im Werk gefertigt und kann nur dann schnell vor Ort aufgebaut werden, wenn die Komponenten wie Elektrik oder Lüftung, Böden und Wände bereits vorinstalliert sind. Das ist also ein technischer Grund, der als Argument für die Vergabe aller Teilleistungen an nur ein Modulbauunternehmen vergaberechtlich anerkannt ist.

Welche Fehler werden am Häufigsten von öffentlichen Bauherr:innen bei der Ausschreibung und Vergabe von Holzbauprojekten gemacht? Bzw. worauf sollten öffentliche Bauherr:innen hierbei besonders achten?
Man muss sehr genau wissen, welche Ziele man mit der Beschaffung der Holzbaufertigung erreichen will, weil die Beschreibung der Leistung nicht im Detail möglich ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn man eine exakte Größe des Holzmoduls in der Ausschreibung angeben würde, bekommt man vermutlich keinen oder nur einen Anbieter. Dies wäre daher nicht zulässig, weil man damit den Markt einschränkt. Vielmehr muss man die Leistung funktional beschreiben und vorgeben, welchen Zweck das Modul erfüllen soll. Man gibt also nicht die genaue Größe des Klassenraumes vor, sondern die Funktion, die der Klassenraum erfüllen soll. Die Beschreibung erfolgt daher eher im Sinne eines Raumprogramms. Wichtig ist auch darüber nachzudenken, dass die Module transportiert werden müssen und daher die Größe für einen LKW-Transport nicht überschreiten sollten.

Angesichts des Sanierungsstaus bei öffentlichen Gebäuden kommt die Methode der seriellen Sanierung als Beschleunigungsfaktor ins Spiel - z.B. die Sanierung einer Schule in den Sommerferien, damit der Schulbetrieb ohne Provisorien weiterlaufen kann. Der hohe Vorfertigungsgrad der dabei erforderlich ist, erfordert die Vergabe an einen Generalunternehmer.

Welche Instrumente im Vergaberecht gibt es, um Lose sinnvoll zusammen zu fassen? Gibt es trotz der vergaberechtlichen Pflicht zur Einzelgewerkevergabe, Wege einen Generalunternehmer zu beauftragen?
Zunächst möchte ich dem gerne widersprechen: Die Sanierung durch einen Generalunternehmer ist hier nicht zwangsläufig notwendig, da auch der Auftraggeber durch gute Koordination mehrere Einzelgewerke in den Sommerferien so steuern könnte, dass die Einzelleistungen rechtzeitig erbracht werden. Ein geringerer Koordinationsaufwand wird vergaberechtlich daher nicht als Grund für eine Generalunternehmervergabe anerkannt. Im Gesetz heißt es, dass mehrere Gewerke, die als Lose bezeichnet werden, nur zusammengefasst werden dürfen, wenn technische oder wirtschaftliche Gründe dies erfordern.

Möchte der Auftraggeber oder die Auftraggeberin z.B. eine innovative, fachübergreifende Lösung das beste energetische Gesamtkonzept umsetzen, die nur durch das Ineinandergreifen verschiedener Planungsdisziplinen umgesetzt werden kann, darf er einen Generalplaner beauftragen. Auch wenn die Aufteilung in viele einzelne Lose zu einer wirtschaftlichen Zersplitterung der Leistungen führen würde, dürfen Kleinst-Lose mit größeren zusammengefasst werden. Hieran sieht man aber schon, dass hohe Begründungsanforderungen bestehen, die auch in der Vergabeakte dokumentiert werden müssen. Die Dokumentationspflicht erfordert eine ausführliche Begründung des Entscheidungsprozesses mit seinem Für und Wider sowie eine detaillierte Begründung der getroffenen Entscheidung. Dies betrifft gerade die Gründe für und gegen eine Losaufteilung.

In sehr vielen öffentlichen Ausschreibungen ist das einzige Zuschlags-Kriterium der Preis. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, es anders zu machen?
Es spricht sehr viel dafür den Preis nicht als einziges Kriterium für die Vergabe heranzuziehen. Erfahrungsgemäß führen zu niedrige Angebote dazu, dass der Auftragnehmende über Nachtragsleistungen versuchen wird, doch noch einen Gewinn in dem Projekt zu machen. Keine Ausschreibung gelingt lückenlos, so dass es immer zu geänderten oder zusätzlichen Leistungen kommen kann. Ein Unternehmer oder eine Unternehmerin, der/die auskömmlich kalkuliert hat, muss nicht um jeden Preis diese Schwachstelle ausnutzen. Um nicht den günstigsten nehmen zu müssen, sollte der Preis daher nicht das einzige Kriterium sein. Vielmehr sollte auf qualitative Kriterien ebenfalls ein gewisses Gewicht gelegt werden, so dass durchaus auch der zweitgünstigste Bieter den Zuschlag erhalten kann.

Viele komplexe Bauaufgaben verlangen eine gewisse Erfahrung bei der Umsetzung. Welche Instrumente gibt es, die Erfahrung sicher zu stellen und ggfs. unerfahrene Bieter vom Verfahren auszuschließen?
Dies ist eine Frage der sogenannten Eignungsprüfung: Die Bietenden können aufgefordert werden ihre Eignung durch die Angabe von Referenzprojekten, die mit der Bauaufgabe vergleichbar sind, nachzuweisen. Hierzu beschreibt man die Anforderung an die Referenzen und bewertet deren Erfüllung z.B. nach einem Punktesystem. Diejenigen drei bis fünf Bietenden, die die meisten Punkte haben, werden überhaupt erst zu einer Angebotsabgabe aufgefordert.

Wie kann sich ein Auftraggeber optimal auf eine Vergabe vorbereiten?
Hier sind zwei Dinge von entscheidender Bedeutung: Zum einen muss der Auftraggebende sich genau und rechtzeitig überlegen, was er beschaffen will. Oftmals stellen wir fest, dass die Ziele, die mit der Beschaffung erreicht werden sollen gar nicht klar definiert sind. Wenn man seine Ziele nicht kennt, kann man auch keine gute Ausschreibung erstellen lassen. Zum anderen sollte der Auftraggebende selbst die Ausschreibungsunterlagen, die meistens von Ingenieurbüros erstellt werden, einmal komplett durchlesen. Das klingt banal, aber hierdurch fallen erfahrungsgemäß immer Ungereimtheiten, Widersprüche oder Lücken in den Texten auf, die später zu Mehrkosten führen.

Weiterführende Infos

Mehr Informationen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Holzbaus in Rheinland-Pfalz haben wir Ihnen auf dieser Seite zusammengefasst.

Kommunen, die sich für das Vergaberecht im Holzbau interessieren oder fachliche Unterstützung suchen, können sich vertrauensvoll an Prof. Dr. Boldt wenden:
antje.boldt@rittershaus.net
+49 (0) 69 27 40 40-213

Weitere Informationen zu Prof. Dr. Antje Boldt finden Sie zudem auf der Website von RITTERSHAUS Rechtsanwälte.