Anne Niemann: "Wir müssen wieder einfacher bauen."
Anne Niemann ist Architektin und lebt und arbeitet in München. Sie forscht und lehrt im Bereich des energieeffizienten und nachhaltigen Planens und Bauens sowie zum Bauen mit Laubhölzern. Seit 2016 leitet sie das Forschungszentrum „Einfach Bauen“ an der TU München. Seit Oktober 2022 ist sie Vertretungsprofessorin an der Hochschule Augsburg und lehrt in den Studiengängen Energieeffizientes Planen und Bauen – E2D und Architektur. Im Interview erklärt Anne Niemann, warum das Bauen in den letzten Jahren sehr komplex geworden ist und wie wir zukünftig wieder einfacher und nachhaltiger bauen könnten. Sie wirft zugleich die Frage auf, welchen (Wohn-)Komfort wir uns in Zeiten des Klimawandels und der Energieknappheit eigentlich noch leisten können.
Frau Niemann, einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist das Thema „Einfach Bauen“: Was zeichnet eine einfache und nachhaltige Bauweise aus?
Anne Niemann: Das Bauen ist sehr komplex geworden in den letzten Jahrzehnten. Im Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ untersuchen wir, wie wir das Bauen wieder einfacher machen können. Dabei fragen wir uns, in welchen Bereichen wir Dinge bewusst weglassen oder überhöhte Standards absenken können, um das Bauen zukunftsfähig zu machen. Welche Stellschrauben können z. B. im Bereich der Architektur und Planung angepasst werden? Können wir durch die passende Wahl der Raumgröße, der Wanddicke oder der Fenstergröße ein Gebäude errichten, welches ohne viel (Heiz-)Technik zu jeder Jahreszeit ein angenehmes Raumklima besitzt? In der Theorie haben wir das bereits bewiesen. Jetzt sind wir gerade dabei, unser Konzept anhand von drei Musterhäusern, die wir mit meinem Architekten-Kollegen Florian Nagler in Bad Aibling gebaut haben, in der Praxis zu überprüfen.
Diese drei Musterhäuser sind mittlerweile fertig und auch bewohnt. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Planung und dem Bau gemacht?
Anne Niemann: Die erste spannende Frage war, wie wir die theoretischen Überlegungen in die Praxis umsetzen können? Das Konzept musste auf die Wirklichkeit und die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden, also z. B. an das jeweilige Baugrundstück und die Wünsche des Bauherrn.
Im zweiten Schritt war spannend zu erfahren, wie die Baufirmen das Projekt vor Ort dann wirklich umsetzen. Hier war eine Erfahrung, dass es auch bei einem ganz einfach geplanten Haus mit wenigen Gewerken zu Schwierigkeiten im Bauablauf kommen kann, weil wir die Firmen teilweise erstmal wieder davon überzeugen mussten, dass sie einfach und ohne viel Technik bauen dürfen.
Im dritten Schritt ist es spannend zu sehen, ob sich die Bewohner in den Häusern wohlfühlen und unser Konzept der einfachen Bauweise annehmen. Gerade weil wir vieles weggelassen haben, was im modernen Wohnungsbau dazugehört: Zum Beispiel gibt es keinen Sonnenschutz, keine Trittschalldämmung, es gibt Innen und Außen keine Wandbekleidung, es gibt keinen Keller und damit wenig Abstellmöglichkeiten. Auf der anderen Seite gibt es schöne hohe Räume mit viel Licht und Luft.
Nach ersten Rückmeldungen fühlen sich die Mieter:innen im Großen und Ganzen wohl, es gibt jedoch auch vereinzelte Kritik, weil der Wohnkomfort nicht ganz so hoch ist und beispielsweise eine Fußbodenheizung fehlt. Hier müssen wir uns als Gesellschaft jedoch ehrlich die Frage stellen: Welchen Komfort dürfen und können wir uns in Zeiten des Klimawandels und der Energieknappheit eigentlich noch leisten? Braucht wirklich jedes neue Wohngebäude standardmäßig eine Fußbodenheizung oder ist es zumutbar, sich im Winter auch mal warme Hausschuhe anzuziehen?
Wie sieht im Gegensatz zu Ihrem Konzept des einfachen Bauens die Realität im Bauwesen aktuell noch aus?
Anne Niemann: Es gibt noch zu große Gegensätze zwischen dem, was wir in der Ausbildung vermitteln und dem, wie wir in der Praxis bauen. Wir sagen Studierenden, dass sie mit nachwachsenden Rohstoffen und suffizient bauen sollen und dann kommen diese Studierende ins Büro und sind überrascht, dass noch mit Wärmedämmverbundsystemen an Stahlbetonwänden geplant und gebaut wird oder viel zu große Lüftungsanlagen in Gebäuden verbaut werden. Gerade im Bereich des technischen Ausbaus wird aktuell viel zu viel gemacht, was alle Baubeteiligten immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Auch konstruktiv sind wir noch nicht dort, wo wir hinmöchten. Der Holzbau ist zwar in aller Munde und es gibt auch Förderprogramme, aber trotzdem fragt man sich, warum nicht viel mehr mit nachwachsenden Rohstoffen gebaut wird.
Welche Rahmenbedingungen müssen sich ändern, damit wir in Zukunft einfacher und nachhaltiger bauen können?
Anne Niemann: Die Richtlinien für den Holzbau sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Hier müsste mehr Einheitlichkeit herrschen. In Baden-Württemberg traut man dem Holzbau, z. B. im Brandschutz, schon mehr zu als in anderen Bundesländern. Oftmals hinkt die Gesetzgebung dem Fortschritt des Holzbaus hinterher. Baukonstruktiv kann Holz viel mehr leisten als aktuell zugelassen ist. Hier muss der Gesetzgeber nachziehen.
Es muss aber auch wieder mehr Vertrauen zwischen Bauherren und Planenden herrschen. Die Angst vor juristischen Klagen oder vor Dingen, die im Verlauf des Baus schiefgehen könnten, bestimmen häufig den kompletten Planungsprozess. Als Architektin bekomme ich häufig mit, dass in den Kommunen erst ein Holzbau ausgeschrieben wird, dann kommen Ängste und Bedenken, z. B. bzgl. des Brandschutzes oder der Kosten, und am Ende wird es dann doch wieder ein konventioneller Bau. Hier muss noch viel Vertrauensarbeit geleistet werden, z. B. durch Schulungen und Informationsaustausch, damit die Entscheider:innen in den Bauämtern wissen, was sie tun und am Ende einen Holzbau in Auftrag geben.
Welche Vorteile/Potenziale bietet die Holzbauweise für den kommunalen Bereich?
Anne Niemann: Langfristig betrachtet rechnet sich der Einsatz von Holz als Baustoff – ökologisch wie wirtschaftlich. Holz besitzt viele Vorteile gegenüber anderen Baustoffen: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und besitzt einen hohen Vorfertigungsgrad, der zu einer Verkürzung der Bauzeit vor Ort führt. Das ist gerade im innerstädtischen Bereich ein riesen Vorteil. Holz eignet sich zudem sehr gut für das serielle Bauen. Gebäude aus Holz lassen sich flexibel erweitern und am Ende ihres Lebenszyklus einfacher zurückbauen. Gerade bei Schulen, Kitas, Verwaltungsgebäuden oder Wohnheimen für Studierende oder Geflüchtete ist es häufig so, dass erstmal nur ein Gebäudeteil errichtet wird und weitere folgen, wenn der Bedarf zunimmt. Das ist im Holzbau sehr gut möglich.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Ihnen ist das Bauen mit Laubhölzern: Welche Potenziale besitzen Laubhölzer im Baubereich?
Anne Niemann: Da der Klimawandel unsere Wälder und die Art und Weise, wie wir unsere Wälder bewirtschaften, stark verändert, werden wir in Zukunft mehr Mischwälder und damit auch mehr Laubhölzer zur Verfügung haben. Es ist zu schade und zu wertvoll, Laubhölzer, wie z. B. die Buche, im Kamin zu verheizen, wenn wir daraus auch konstruktives Bauholz herstellen können. Zu den Vorteilen der Laubhölzer zählt die extreme Festigkeit. Gerade im Hochlastbereich, z. B. als Stützen für Hochhäuser oder weit gespannte Tragwerke, und im modernen mehrgeschossigen Holzbau sind Laubhölzer eine gute Alternative zu Stahl und Beton. Aktuell gibt es jedoch noch zu wenig zugelassene Produkte auf dem Markt. Vor allem im Bereich der Verklebung und Verbindung von Laubhölzern muss noch etwas Entwicklungsarbeit geleistet werden. Viel Zeit lassen sollten wir uns dafür jedoch nicht, da der Klimawandel immer mehr Fahrt aufnimmt und mittlerweile auch als klimaresistent eingestufte Laubbaumarten zunehmend bedroht.
Wie werden oder wie müssen wir in Zukunft bauen?
Anne Niemann: Bevor wir bauen, müssen wir uns erstmal die Frage stellen: Müssen wir überhaupt bauen? Oder gibt es einen Bestand, den wir sanieren oder erweitern können? Bevor wir uns in die Planung stürzen, müssen wir kritisch hinterfragen, ob unsere Anforderungen an die Gebäude die Richtigen sind. Wenn wir uns dazu entscheiden zu bauen, dann natürlich mit nachwachsenden Rohstoffen und möglichst auch rückbaubar, zirkulär und so flexibel, dass das Gebäude möglichst vielseitig und langfristig nutzbar ist. Auch die Gestaltung und die Optik des Gebäudes sind sehr wichtig, aber auch hier gibt es bereits viele gute Best-Practice-Beispiele aus und mit Holz.
Weiterführende Infos
Mehr Informationen zum Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ und den drei Musterhäusern in Bad Aibling gibt es unter: www.einfach-bauen.net